Sonntag, 4. Januar 2009

EX-HUTONG

四合院
Die Altstadt von Beijing besteht zu grossen Teilen noch aus Gebaeuden im traditionellen Stil. Gemeinhin werden diese als Hutongs bezeichnet, was leicht in die Irre fuehrend ist, da Hutongs eigentlich die dazwischenliegenden Gassen sind. Hu ist ein Familienname, kann aber auch nachlaessig heissen, tong bedeutet gemeinsam, gleich, identisch. Das mit der Nachlaessigkeit, oder Vernachlaessigung ist dabei garnicht so weit hergeholt. Die einstigen Quartiere der gemeinen Bevoelkerung verkahmen ueber die Jahrzehnte mehr und mehr. Durch ausbleibende Sanierungen und Modernisierungen, und eine extreme Verdichtung der Viertel wandelten sich viele Hutongs zu slumartigen Teppichen. Wo einst eine einzelne Familie wohnte - mit Hof, Wohn-, Schlaf- und Nebengebaeuden - wohnen heute teilweise Familien in einzelnen Raeumen, die Hoefe wurden zugebaut und die einst vorhandenen Freiraeume wandelten sich in ein Labyrinth aus einmeterbreiten Korridoren. Die jahrzehntelange Vernachlaessigung der Bausubstanz macht den Erhalt der Hutongs bei enormen Grundstueckspreisen in der Innenstadt nicht grade einfacher und viele sind mittlerweile in einem gar jaemmerlichen Zustand. So kommt es, das sie in Gegenden, die nicht unmittelbar neben kulturellen Highlights gelegen sind, in rasantem Tempo und grossflaechig verschwinden.
Vorgestern bin ich nun in einer Gegend gewesen, in der ich etwa 2000 meine ersten Erkundungen in Hutongs unternommen hatte. Die ehemalige Ost-West-Verbindung vom Chongwen Men zum Qian Men ist nun eine fuer Autoverkehr geeignete Strasse (vormals etwa 3-4 Meter breit). Die Haeuser, die dort standen stehen nun nur noch zur Haelfte da - der Bordstein geht teilweise mitten durch Zimmer, von denen noch die Rueckwaende da stehen. Der Eigentliche Abriss erfolgt dann wohl erst, wenn das Grundstueck verkauft ist und eine neuer Besitzer mit dem Bauen beginnen will.
Beim Durchstreifen des Areals kam mir der Gedanke, das einzelne Haeuser, deren Bewohner umgezogen waren, sofort unbewohnbar gemacht wurden, damit nicht jemand anderes dort einzieht. So entsteht nach und nach ein Truemmerfeld, das den verbleibenden Bewohnern den Umzug "erleichtert".
Heute also mal eine Serie ueber verschwindende Hutongs:



Vom Qian Men kommend, also aus
Richtung Tian'an Men Platz hat sich
eine breite Schneise in die Stadt
geschlagen. Hinter den Mauern ver-
birgt sich Beiderseits ein Truemmer-
feld.


Richtung Tian'an Men versuchen seit
der Olympiade breite Rasenstreifen
noch die Ruinen zu kaschieren.
Betreten darf man sie allerdings nicht.


Durch ein Metalltor gelangt man auf
die verbreiterte Strasse mit den
halben Haeusern. Hier noch der
provisorische Anfang...






Ein letzter Laden kaempft an einer
weiteren neuen Schneise um seine
Existenzberechtigung, aber Kunden
kommen kaum noch vorbei. Das
dahinter liegende Viertel wirkt im
Vergleich zu den lebhaften Gassen
um Beihai Park regelrecht gespens-
tisch und ausgestorgen.


Obwohl grundsaetzlich in schlechtem
Zustand finden sich dazwischen
immer noch erhaltenswerte
Einzelgebaeude.



Hier haben die Vorschlaghaemmer
schon zugeschlagen. Der Turm im
Hintergrund wird aber noch genutzt.
Moechte Wetten, von dem habe ich
noch ein Foto von 2000 in Berlin...


In der Gegend steht nur noch das
oeffentliche Klo (rechter Bildrand)...



1 Kommentar:

  1. Das stille Verschwinden des alten Beijing ist kaum fassbar, dabei aber kein Skandal, weil niemand Notiz nimmt. Wie so oft ist China erst stolz auf seine Schätze, nachdem es sie zerstört hat. Die jahrhundertealte Form des gemeinschaftlichen Lebens in den Hutongs, das man hier ohne Vernunft wegbaggert, ist mehr denn je ein Wohnmodell der Zukunft, welches das moderne China mit Schmerzen vermissen wird.

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